Diptychon: Spielzeughaus mit fallenden Spielzeugbomben und diverse bunte Figuren in der Wüste
30. August 2021 Lesezeit: ~4 Minuten

Spielzeug in Kunst und Krieg

Spielzeug nimmt eine entscheidende Rolle im Leben jedes Menschen als wichtiges Werkzeug der Entwicklung von Selbstausdruck, Kreativität und auch sozialer Interaktion ein. So unterschiedlich die Spielzeuge an verschiedenen Orten auf der Welt auch sind und zu anderen Zeiten einmal waren – sie sind trotzdem aus keiner Kindheit wegzudenken.

Interessanterweise werden Spielzeuge jedoch nicht oft fotografiert oder sind in Anbetracht ihrer Omnipräsenz zumindest überraschend selten das tragende Element konzeptueller Arbeiten, geschweige denn prägen eine ganze fotografische Karriere. Diesem bedeutenden Aspekt menschlicher Kultur, der sie gleichzeitig widerspiegelt sowie formt, ist sich der Fotograf Brian McCarty nur allzu bewusst.

Spielzeugfigur in Szene mit Anzugträgern und brennenden Autos in der Wüste

Spielzeugfigur auf einem Dreirad

Spielzeuge stehen – in verblüffend gegensätzlichen Rollen – im thematischen Mittelpunkt seines Schaffens. Seit Brian McCarty 1996 an der Parsons School of Design sein Studium abschloss, hat er für einige der größten Namen der Spielzeugbranche gearbeitet, darunter etwa Mattel, Hasbro, Disney, Cartoon Network und Nickelodeon.

Seine Arbeiten wurden in Museen ausgestellt, in zahllosen bekannten Magazinen besprochen, von prominenten Sammler*innen erworben und mehrfach ausgezeichnet. Brian McCartys Spielzeugfotografien waren schon auf den gigantischen Werbetafeln am Time Square zu sehen – und vom Daesh für Onlinepropaganda gestohlen.

Spielzeugfigur auf einem Teller mit Kuchen beim PicknickSpielzeugfiguren auf einem See unter Mondsichel

In den späten 1990er Jahren begann eine Gruppe talentierter Jungdesigner*innen aus Hong Kong damit, kleine Auflagen eigener, selbstgestalteter Spielzeugserien in chinesischen Fabriken produzieren zu lassen. Sie verwendeten die gleichen Materialien und Herstellungsprozesse wie sie für die Massenproduktion der großen Spielzeugkonzerne ebenfalls üblich waren.

So schufen sie ein neues Kunstgenre, das Spielzeuggestaltung auf eine neue Ebene hoher Qualität und persönlichen, künstlerischen Ausdrucks hob. Brian McCarty war dabei mittendrin und durfte mit den entstandenen Kreationen spielen. So schuf er seinerseits herausragende fotografische Arbeiten, die gleichermaßen sowohl seine wie auch die Kreativität der Designer*innen der „Art-Toys“ zeigen.

Diptychon: Checkpoint passieren Kinderzeichnung und mit Spielzeugfiguren nachgestellt

„Crossing An ISIS Checkpoint“, Hassansham, Irak, 2017: Um nach Zumar zurückzukehren, mussten ein Junge namens Salaam und seine Familie einen vom Islamischen Staat kontrollierten Kontrollpunkt passieren. Dort sah er, wie ISIS-Soldaten Menschen erschossen. Die Erinnerung an das, was er aus dem Autofenster sah, verfolgte ihn noch immer.

Seit 2011 widmet Brian McCarty sich nun Spielzeug im Kontext von Kriegen statt Kunst. Hinter seiner Serie „War-Toys“ steht ein behutsam und intelligent angelegtes Projekt, das ähnlich wie die Serie „Art-Toys“ dadurch besticht, dass es alle Beteiligten auf Augenhöhe zu einem kreativen Werk zusammenbringt, das mehr ist als die Summe seiner Teile.

Brian McCarty arbeitet dafür unter Einbeziehung speziell ausgebildeter Therapeut*innen mit Kindern zusammen, die Kriege miterleben mussten. Das Projekt wendet Prinzipien und Praktiken der intermedialen Kunsttherapie an, um Kriegsberichte von Kindern in einem geschützten Raum zu sammeln und auszudrücken.

Diptychon: Fluchtszene Kinderzeichnung und nachgestellt mit Spielzeugfiguren

„Night Escape“, Außenbezirke von Mossul, Irak, 2017: Ähnliche Berichte wurden immer wieder von mehreren Gruppen in vier Flüchtlingslagern in der Nähe von Mossul geteilt – Kinder, die mitten in der Nacht aus ihren Häusern fliehen, um aus dem vom IS kontrollierten Gebiet zu fliehen. Die meisten mussten sich mit ihren Familien an Soldaten und Kontrollpunkten vorbeischleichen. Auf einige war geschossen worden, als sie entdeckt wurden. Einige hatten um sich herum getötete Menschen und Leichen anderer Fluchtversuche gesehen, die die Wege säumten. Mädchen und Jungen haben in ihren Zeichnungen oft den Mond neben einem Flugzeug abgebildet, beide nach unten schauend, nicht fähig oder willens, einzugreifen.

Die Mädchen und Jungen werden zu künstlerischen Leiter*innen von Brian McCartys Fotografien, die die Geschichten von Spielzeugen vor Ort erzählen. Aus dieser Arbeit heraus hat der Fotograf 2019 die gleichnamige, gemeinnützige Organisation „War Toys“ gegründet.

Diese bündelt die Expertise von ganz verschiedener Therapeut*innen, Menschenrechtler*innen, Spielzeughersteller*innen und anderen. Sie erarbeiten gemeinsam neue Programme und schmieden branchenübergreifende Allianzen, um das Leben von durch Krieg traumatisierte, obdachlos oder auch zu Waisen gewordene Kinder vor Ort konkret zu verbessern.

Für seine Arbeiten ist Brian McCarty sowohl im Studio aktiv als auch in der Welt, teilweise sogar in Kriegsgebieten, unterwegs, um Spielzeug mit erzwungener Perspektive in echten Situationen zu fotografieren. Ihr könnt die Ergebnisse auf seiner Webseite oder Instagram verfolgen, das Projekt War Toys hat auch einen eigenen Account: @wartoysproject.

Titelbilder: Links: „Sderot Home“ aus der Serie War-Toys, Rechts: „Wish Come True“ mit Spielzeugen von FriendsWithYou © Brian McCarty

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